Drama

Doppelfehler

von Caethe Worring

Cover: C. Worring

Jede Entscheidung ist auch eine Entscheidung gegen eine andere Option. Man kann nicht alles habe. Oder doch?

 

Georg Giessbach, berühmter Tennisspieler, will es doch wenigstens versuchen. Aber man kann Naturgesetze nicht aus den Angeln heben, das muss er irgendwann feststellen.

 

 


Leseprobe

 

Doppelfehler

 

Joseph Kremer suchte und fand einen schattigen Parkplatz. Zwar nicht in der Nähe der Adresse, die er suchte, aber er war gern bereit, für die Annehmlichkeit eines relativ kühlen Autos ein paar Meter extra zu laufen.

Der Wagen, den er fuhr, gehörte nicht ihm. Er bezog ein recht gutes Gehalt, aber dieser Jaguar war definitiv eine andere Liga. Zum Glück war sein Brotherr zum Ersten großzügig veranlagt und zum Zweiten kein ausgewiesener Autonarr. Daher bereitete es ihm keine körperlichen Schmerzen, seinen Angestellten mit dem Jaguar zu schicken, wenn er für ihn unterwegs war.

Und das war Joseph. Er kannte den Mann nicht persönlich, zu dem er auf dem Weg war. Er hatte bislang noch nicht einmal von ihm gehört, obwohl Glauberg, sein Chef, ihm versicherte, der Name Giessbach sei in sportbegeisterten Kreisen noch immer bekannt.

Sport, das war für Joseph Fußball. Oder Boxen. Oder höchstens noch Ringen. Leidenschaft, Lautstärke, Schweiß und Muskeln! Mit Tennis dagegen hatte er nichts am Hut. In blütenweißen Hosen und Hemden zum leisen Plopp der Bälle über einen gepflegten Platz zu laufen, das war für reiche Leute, für Schnösel und Gutbetuchte. Dazu noch die rätselhaften Ansagen eines Schiedsrichters, der auf einer Art Hochsitz das Spiel beobachtete. Die vornehm gekleideten Zuschauer, deren Köpfe wie an Fäden gezogen von rechts nach links ruckten. Außer einem verhaltenen `Ah!´ oder `Oh!´ keine Reaktion auf gute Leistung. Das verhaltene Klatschen über gewonnene Punkte. Langweilig.

Auch Glauberg hatte von Tennis nicht viel Ahnung, aber er bewegte sich in diesen gepflegten Kreisen. Daher kannte er Giessbach. Und das war gut, denn sie brauchten seine Aussage.

Die Julihitze flimmerte über dem öligen Asphalt. Immer wieder bildeten sich kleine Spiegelungen, winzige Seen und Wellen auf dem kochenden Straßenbelag.

Joseph drehte sich noch einmal um. Der Wagen stand sittsam und gut geschützt unter einem mächtigen Laubbaum. Die Sonne zeichnete huschende Schattenreflexe über das vornehme Grau. Der Jaguar war gut aufgehoben. Joseph wischte sich mit dem Handrücken über die nasse Stirn und schob den Hut wieder nach vorn. Auf seinen Schultern brannte die erbarmungslose Hitze. Die 150 km und die zweieinhalb Stunden Fahrt hatten ihn in eine andere Welt katapultiert. Trotz der Sommerhitze war der Schwarzwald eine Oase der Erfrischung. Sattes Grün, frische Luft und eine leichte Brise. Dazu noch die Annehmlichkeiten des Sanatoriums, zu dessen nicht ganz freiwilligen Gästen auch sein Arbeitgeber gehörte.

Joseph wäre gern bereit gewesen, auch ohne Herzschwäche ein paar Wochen in diesem sommerlichen Paradies zu verbringen, gut versorgt durch eine hervorragende Küche, mit den verschiedensten Möglichkeiten, sich die Zeit gepflegt zu vertreiben und der brutalen Hitze zu entkommen. Stattdessen fuhr er für seinen Arbeitgeber in der Weltgeschichte herum und schwitzte wie ein Pferd.

Schonung und Erholung hatte der behandelnde Arzt verordnet, aber natürlich war es wieder einmal anders gekommen. Der Direktor von `Hohensteinberg´, dem exklusiven Sanatorium im Hochschwarzwald, war ein Studienfreund von Glaubergs Hausarzt. Kaum war er also angekommen, bat der Direktor ihn diskret um seine Mithilfe. Eine sehr junge Patientin hatte sich das Leben genommen. Eine schockierende, tragische Tat. Aber schlimmer noch war, dass möglicherweise ein Akt der Erpressung der Grund dafür war. Jemand hatte sie, ob bewusst oder nicht, in den Freitod getrieben. Für ein Institut wie `Hohensteinberg´ eine veritable Katastrophe.

Glauberg, in diesem Leben ein harmloser Weingutsbesitzer, war während des Krieges irgendwie mit Geheimdienstarbeit betraut gewesen. Er redete nicht gern darüber, aber wahrscheinlich hatte der Direktor von seinem alten Freund Dr. Heiner davon erfahren. Und jetzt waren sie wieder mittendrin in diesen unfreiwilligen Ermittlungen.

Joseph schritt rasch aus. Er hatte sich den Stadtplan genau eingeprägt, so dass er den Weg im Kopf hatte, und wenig später saß er dem Mann gegenüber, dessen Aussage Glauberg für wichtig hielt.

Er starrte ihn an, das merkte er selbst. Georg Giessbach. Das war der Mann, der ihnen helfen sollte? Das war der Mann, der …

Hellblaue Augen sahen ihn an. Abwartend, belustigt, herausfordernd. Joseph wandte den Blick verlegen ab. Er hatte ohnehin schon sehr genau hingesehen. Giessbach war ein schmaler Mann, ein Tennisspieler eben. Schmal und drahtig. Lange Arme und Beine, entspannt weit von sich gestreckt.

Sein Kopf war rund wie eine Billardkugel, die Ohren groß und leicht abstehend. Tiefe Falten verbanden Nase und Mundwinkel. Der Mund war breit und die Lippen rötlich. Alles in allem ergab sich ein Bild, das zwar unscheinbar, aber seltsam stimmig war. Sympathisch. Ob er so …?

„Leider kann ich Ihnen im Moment nichts anbieten“, sagte Georg Giessbach und enthüllte auf einen Schlag das ganze Geheimnis.

Seine Stimme klang … wie warmer Honig. Dunkler, aromatischer, samtiger Tannenhonig vielleicht. Joseph sah ihn fasziniert an.

Giessbach deutete auf die leere Tischfläche. Seine großen Hände bewegten sich anmutig und kontrolliert wie bei einem Tanz. Wie konnte es sein, dass diese geballte Ansammlung von Unscheinbarkeit derart anziehend wirkte? Und wenn es schon ihn, Joseph, so beeindruckte, wie mochte er auf Frauen wirken?

„Das macht nichts“, sagte Joseph endlich. „Ich brauche nichts.“

„Sie kommen von Julius von Glauberg?“

„Ja, könnte man so sagen. Er hat mich hergeschickt. Danke, dass Sie mich empfangen.“

Ein weiteres belustigtes Lächeln zuckte über das runde Gesicht. Er nickte zustimmend.

„Ich habe einen Brief für Sie.“

Joseph reichte den samtigen Umschlag über den Tisch und legte ihn in Giessbachs große Hand. Der zog das eng beschriebene einzelne Blatt aus dem Kuvert und begann nach einer höflichen Entschuldigung, zu lesen.

Joseph beobachtete gebannt, wie die unterschiedlichsten Gemütsregungen über die Züge seines Gastgebers huschten. Gemäßigte Freude, Verwirrung, Verstehen, Erregung, Zweifel und wieder Zuneigung. Der Mann hätte nicht Tennisspieler, sondern Schauspieler werden sollen. Auf allen Bühnen in Deutschland hätte er Triumphe gefeiert.

Schließlich ließ Giessbach das Schreiben sinken und schob es sorgfältig wieder in den Umschlag.

„Es ist für mich eine seltsame Sache, von Julius zu hören. Wir waren einmal recht eng befreundet, auch wenn das schon lange her ist. Das Leben hat uns auseinanderdriften lassen, wie das eben so ist. Jeder hat sein Leben, seine Verpflichtungen. Aber ich bin froh, dass es ihm gut geht. Er schreibt, sein Aufenthalt in `Hohensteinberg´ ist eher prophylaktisch. Und jetzt braucht er also meine Hilfe.“

„Ja, ich glaube, Sie könnten uns eventuell wichtige Hinweise geben.“

„Dann werde ich gern tun, was ich kann. Was möchten Sie denn wissen?“

Joseph zögerte. Wie sollte er die Lage zusammenfassen?

„Sie wissen natürlich, dass es in `Hohensteinberg´ Unregelmäßigkeiten gegeben hat.“

Giessbach neigte zustimmend den Kopf.

 

„Sicher, sonst wäre ich nicht in dieser Lage.“

 

Ende der Leseprobe