Drama

 

Schneesturm des Herzens

von Caroline Kemps de Escalante

Cover: C. Kemps de Escalante

Lisa hat ihr Leben gefühlt an die Wand gefahren. Ein unverhoffter Schneesturm im Herzen bringt sie dazu, aus der Spirale auszubrechen, die sie innerlich gefangen hält. Alles hat im Leben einen Sinn, so auch die Begegnung mit ihrem Kollegen Luca.

 

 

 

 

 


Leseprobe

 

...

Ein dumpfer Schmerz bohrt sich durch meinen Kopf, als die Sonne ins Gesicht scheint. Ich verstecke mich unter der Decke und ignoriere das Klingeln meines Handys. Es hallt nach und schwemmt eine Welle der Übelkeit über mich. Wie durch einen Nebel sehe ich den gestrigen Abend an mir vorbeiziehen. Die Beats, zu denen ich ausgelassen getanzt habe, Vera, die sich irgendwann von mir verabschiedet hat und der nette Barkeeper, der mich mit Wasser versorgte. Hieß er Ramón? Ich kann mich nicht erinnern. Es kommt mir vor, als hätte ich mich einmal durch das gesamte Barsortiment gesoffen. Verschwommen erinnere ich mich an einen Herrn, der mit mir getanzt und ein „Du bist auch noch gut im Saft“ ins Ohr gesabbert hat. Der letzte B52, den er mir ausgegeben hat, war wohl schlecht.

Ich blinzle. Mein Blick schweift durch das Zimmer und bleibt an meinem neuen Kleid hängen, das zerknautscht über einem Stuhl liegt. Mir wird schlagartig klar, dass ich die Wogen meines Lebens glätten muss. Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.

Ein Grummeln in meinem Magen nimmt mir die Entscheidung fürs Erste ab. Ich beuge mich über den Bettrand und befördere die Sünden der letzten Nacht in einen pinkfarbenen Eimer, der offensichtlich auf mich gewartet hat.

Erschöpft lehne ich mich zurück in die Kissen und mein Blick gleitet über hellblaue Satinbettwäsche. Mit einem Ruck richte ich mich auf. Dumpfer Kopfschmerz klopft an meine Schädeldecke. Ich habe nur Unterwäsche an und ziehe mir die Decke über die Brust. Ich bin allein, stelle ich erleichtert fest. Doch wo ich bin, ist mir immer noch nicht klar.

Mein Handy summt und ich sehe das Bild meiner Mutter auf dem Display.

„Hallo, Mama“, begrüße ich sie, froh, ihre Stimme zu hören.

„Elisabeth, wo bist du?“, herrscht sie mich an und meine Freude schrumpft wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht. Ich komme mir sofort vor wie ein kleines unmündiges Kind, doch zu einer patzigen Bemerkung fehlt mir die Energie.

„Ehrlich gesagt, keine Ahnung.“

„Was soll das heißen? Jan heult uns hier die Ohren voll und wir kommen um vor Sorge. Musst du nicht arbeiten?“

Warum fragt sie eigentlich nie Jan danach? Wut kocht in mir hoch. „Heute mal nicht, Mama, es ist Wochenende.“

„Eine Frau hat immer was zu tun, Mädchen. Und wenn man die Männer zu oft allein lässt, sind sie irgendwann weg.“

Jetzt fühle ich mich wirklich abgeholt. „Ja, das ist vielleicht manchmal besser“, fauche ich in den Hörer. „Und ich bin nicht dein Mädchen.“

„Nun sei doch nicht so empfindlich.“ Sie schnaubt beleidigt. „Auf jeden Fall regelst du das mit deinem Mann. Ich habe keine Zeit dafür. Meine Putzfrau kommt gleich.“

Sie hängt ein und ich könnte heulen. Mit voller Wucht schlage ich auf die Bettdecke und erwische mein Knie. Der Schmerz lenkt mich nur für einen Augenblick ab und setzt eine Flut von Tränen in Gang. Ich komme mir vor wie ein Hamster im Käfig, dessen Rad sich beim Ver-rennen immer schneller dreht. Ich möchte aussteigen, doch ich weiß nicht wohin. Wäre ich sonst in das Gartenhaus bei meinen Eltern gezogen? Mein Atem stockt und ich japse wie ein Ertrinkender nach Luft. Auch das noch. Einen Schwächeanfall kann ich mir nicht leisten.

Der Schneesturm ist zurück und fegt durch meinen Kopf. Ich bin unfähig, eine Flocke davon zu ergreifen. Wie ein Embryo rolle ich mich zusammen und warte, bis der Sturm sich legt.

Eine sanfte Berührung an der Schulter lässt mich hochschrecken und ich stoße mit der Stirn an Ramóns Kopf. Wir heben zeitgleich die Hände und reiben uns den Schmerz weg. „Aua“, sagen wir wie aus einem Mund, und ich versinke in seinen tiefblauen Augen. 

„Buenos Días, Chica“, ruft er, zieht ein Tablett heran und strahlt. Der Duft von Latte Macchiato und frisch gebackenem Croissant weht mir in die Nase.

„Das Leben wirft uns manchmal Steine in den Weg, meine Liebe. Sie sind ein Zeichen, etwas neu zu ordnen. Du machst das richtig.“

Irritiert wandert mein Blick zu ihm und dem Tablett. „Wo bin ich?“

„Ramona hat eine Schwäche für Gestrandete“, antwortet eine Stimme von der Tür. Ein hochgeschossener, blond gelockter Mann in einem Designertrainingsanzug betritt den Raum und lässt sich elegant in einen Schneidersitz gleiten. Seine rosa Hasenpantoffeln bringen mich zum Schmunzeln. Er drückt Ramón einen Kuss auf den Scheitel und schaut mich an. In meiner Brust breitet sich Wärme aus.

„Ich bin Lisa“, sage ich und strecke ihm die Hand entgegen. Er ergreift sie und haucht einen Kuss darauf. „Enchanté, Madame. Ich bin Didier, die bessere Hälfte dieses Zuckerstückchens.“

Er kneift seinem Freund in die Wange und streicht mit dem Finger darüber, als wolle er Sahne abschlecken.

Ramón rollt mit den Augen und reicht mir den Latte Macchiato. „Du sahst so verloren aus gestern Abend und dieser komische Kauz hat dich mit diesem Dreckszeug abgefüllt, als ich in der Pause war. Ich hatte Angst um dich. Da habe ich dich kurzerhand mit nach Hause genommen, bevor du auf der Straße schläfst.“ Er hebt beide Hände in die Höhe, um sein Bedauern auszudrücken.

Ich habe einen echten Filmriss.

„Danke“, murmle ich gerührt. „Es ist mir wirklich unangenehm, aber ich wusste tatsächlich nicht wohin.“

„Das war nicht zu übersehen.“ Er zwinkert mir zu.

Das Handy surrt, bevor ich noch etwas sagen kann.

Jan.

Ich habe keine Ahnung, was ich ihm erzählen soll und drücke das Gespräch weg.

„Ich möchte nicht noch aufdringlicher erscheinen, als ich ohnehin schon bin“, sagt Ramón und deutet auf das Telefon. „Da scheint jemand arge Sehnsucht zu haben. Das brummte schon die ganze Nacht. Willst du nicht lieber rangehen?“

Ich konzentriere mich auf den Milchschaum und schaue ihm beim Einfallen zu. Vorsichtig nippe ich an dem heißen Getränk und meine Lebensgeister beginnen sich bei dem köstlichen Duft zu regen.

„Ich weiß nicht, was ich meinem Mann sagen soll. Ich weiß nicht, wohin, und wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich einfach nur liegenbleiben und schlafen, bis der Sturm vorübergezogen ist.“

„Das Leben ist zu kurz für später, meine Liebe.“ Ramón springt auf und zaubert ein Handtuch hervor. Er legt es mir auf das Bett und klopft darauf. Eine Dusche ist genau das Richtige, denke ich.

„Du hast sehr laut mit deiner Freundin gesprochen. Der Typ, für den du geschrieben hast, ist es nicht wert. Der scheint nur auf seine eigenen Belange aus und Frauen für sein Ego zu benutzen. Ich kenne diese Typen. Ihr Frauen denkt immer, so jemanden retten zu müssen. Aber jeder ist für sich selbst verantwortlich.“

Meine Wangen fühlen sich an wie glühende Kohlen. „Ich habe den echt gemocht. Der wirkte so unbeholfen und das hat mich gerührt“, sage ich leise.

Didier räuspert sich. „Ramón war Psychologe in Barcelona, bevor er mir hierher gefolgt ist. - Trotzdem, mon amour“, sagt er an seinen Freund gewandt, „ich glaube nicht, dass es uns etwas angeht.“

Ramón senkt den Blick und nuschelt eine Entschuldigung. „Ihr Frauen macht Euch immer so klein und das müsst ihr nicht. Es ist großartig, was du für diesen anderen Mann getan hast. Dass da mal die Gefühle verrücktspielen, kann passieren und ist doch ein Zeichen, dass etwas in dir aus den Fugen geraten ist.“

Ich schlucke und umschließe den heißen Kaffee mit den Händen. Ich bin so durcheinander, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann. „Nimmst du öfter Gestrandete mit zu dir nach Hause?“, versuche ich abzulenken.

„Nein, aber bei dir mache ich eine Ausnahme.“

****

 

 

Zurück auf der Straße kühlt der Wind meine Haut. Ich ziehe den Schal enger um meinen Hals und laufe den Weg nach Hause. Jeder Meter, der mich näher an mein altes Leben bringt, verengt den Ring um meine Brust. Ich brauche Zeit für mich. Das wird mir immer klarer.

Ich schließe die Tür auf und Kerzenschein empfängt mich. Der Tisch ist liebevoll gedeckt und aus der Küche dringt der warme Duft von Kokosmilch und Gebratenem. Statt mich zu freuen, steigen mir die Tränen in die Augen. Ich habe alles, was ich brauche und bin so unglücklich. Es zerreißt mir das Herz. Mein Blick fällt auf die gemalten Bilder von Amelie an der Wand. Es ist so vertraut und trotzdem möchte ich schreien.

Jan schaut von der Küche zu mir und nimmt die Schürze ab.

„Ich habe für dich gekocht“, sagt er überflüssigerweise. Ich trete auf ihn zu, schließe ihn fest in meine Arme und atme seinen ihm so eigenen Duft ein. Eine Weile stehen wir so da und ich kann es nicht fassen, was mit mir gerade geschieht. Seinen Kuss weise ich ab. „Lass uns reden.“

 

Das Essen ist köstlich. Es zerschmilzt auf der Zunge und lenkt meinen Kater in erträgliche Bahnen.

„Ich habe eine Professur an der Uni in Hanau“, durchbricht er die Stille. Ich schaue ihn an. Seit Jahren liege ich ihm in den Ohren, dass er sich endlich um einen seiner Qualifikation entsprechenden Job bemühen soll. Bisher war ihm seine Freiheit wichtiger. Jetzt sollte ich glücklich sein, doch das Licht in meinem Inneren ist erloschen. „Ich freue mich für dich“, sage ich kraftlos.

„Endlich kommen wir aus dem Gartenhaus raus. Das wolltest du doch immer.“ Erwartungsvoll lächelt er mich an.

Ich möchte mich mit ihm freuen. Er hat es verdient glücklich zu sein. Es tut mir weh, dass es mich nun so kalt lässt.

„Ich wollte einen Mann, auf den ich bauen kann, mit dem ich an einem Strang ziehe, und der mich nicht ins Leere fallen lässt wie die letzten Jahre. Jan, es tut mir so leid, aber ich bin müde. Müde vom Denken.“ Ich lasse mein Besteck sinken und schiebe den Teller fort. Ramóns Worte kommen mir in den Sinn. Von den Steinen, die einem das Leben vor die Füße wirft.

„Geh nach Hanau, ich komme nicht mit. Ich brauche eine Auszeit.“

Jan schaut mich an, als ob mich der Verstand komplett verlassen hätte. Ich kann es ihm nicht verdenken. Irgendwie ist es leichter verlassen zu werden. Jetzt bin ich der Buhmann und ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Nur, dass sich die Entscheidung für mich richtig anfühlt. Mein Kontostand, der sich nicht synchron zu diesen unbezahlbaren Mieten entwickelt, kommt mir in den Sinn, und mich verlässt wieder der Mut.

„Es schmerzt mich, unsere kleine Familie auseinanderzureißen. Ich habe keine Ahnung, wie das alles gehen soll.“

„Ich habe so schön für dich gekocht“, mault er, „kaufe am Wochenende ein, bügle, habe mir all deine Sorgen angehört, mich auf den Job in Hanau beworben.“

Jetzt platzt mir der Kragen. „Genau das ist es, Luca. Du machst alles, was ich dir sage. Ich habe es einfach satt.“

„Wie hast du mich gerade genannt?“ Wütend funkelt mich Jan an. „Ist das der grandiose Lebensberater aus deinem Büro?“

Ich stocke, als ich meinen Ausrutscher realisiere und beschließe, ihn einfach zu ignorieren. „Es ist wunderbar, was du alles machst, aber es reicht nicht, sich ständig auf mich zu verlassen. Ich will nicht immer der Fels, sondern auch mal die Brandung sein. Es ist einfach zu spät.“

Jan springt auf und reißt das Rotweinglas dabei um. Ein hässlicher Fleck bildet sich auf meinem neuen hellblauen Kleid.

Passend zu meinem Inneren, denn ich fühle mich augenblicklich wie der undankbarste Mensch auf Erden.

„Oh Lisa, Wir müssen das Projekt Spaziergang mal zeitnah umsetzen, du bist echt meine stärkste Autorin“, zitiert Jan mit verzerrtem Gesicht einen Satz aus Lucas Korrespondenz. Mir weicht das Blut aus dem Gesicht.

„Wie kommst du dazu, in meinen Mails zu lesen?“, frage ich mit zitternder Stimme. In meinem Kopf herrscht Chaos, ich habe mal wieder keine Ahnung, wie ich aus der Nummer rauskomme. Dafür habe ich ein Händchen.

„Du lässt deinen Bildschirm ja oft genug offen. Ich bin nicht blöd, Lieschen. Du musst von allen gemocht werden. Aber wie du dich von so einem Schwätzer um den Finger wickeln lässt, ist schon besonders dämlich.“

Es ärgert mich, dass Jan Recht hat. Noch viel schlimmer finde ich, dass ich mich wie ein pubertärer Teenager vollkommen diesem Geplänkel hingegeben habe. Es hat Spaß gemacht und gezeigt, dass ich noch lebe. Die wie versehentlich weitergeleiteten Hotelwerbungen „Auszeit für Verliebte“, Scherzvideos über „Seitensprünge mit verheirateten Frauen“ oder die „liebe Lisa“ hier, die „liebe Lisa“ da, wobei es mir vor meinen Kollegen schon fast peinlich war, haben meinem Ego geschmeichelt.  Ich habe mich auf jeden Auftrag wie ein Hund auf ein blutiges Stück Fleisch geworfen und meine eigene Arbeit dabei vernachlässigt.

„Da ist was Wahres dran. Es war eine inspirierende Zeit, arbeitstechnisch“, versuche ich mich zu rechtfertigen. Jan, der sicher Gegenwehr erwartet hat, klappt den Mund wieder zu. Wir starren uns eine Weile an.

„Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen“, sagt er und geht.

Wie benommen sitze ich an unserem Esstisch und starre in die Flammen der herunterbrennenden Kerzen. Es wird Zeit, dass ich mir wieder treu werde ...

 

 

Ende der Leseprobe