Der Bunker - Schatten der Erinnerung

von Nicole Kunkel

An Halloween öffnet sich das Tor.
Ein alter Bunker im Wald. Eine traumatische Vergangenheit. Gespaltene Persönlichkeiten, verbotene Experimente und eine verlorene Identität auf ihrer Suche nach Rache.

Du kannst nicht vor ihr fliehen.
Du wirst ihr nicht entkommen.
Egal wie weit du deine Vergangenheit wegsperrst. Egal wie tief du sie vergräbst, sie wird einen Weg finden und dich einholen. Du musst dich ihr stellen, sonst verschlingt sie dich bei lebendigem Leib.
(Auszug aus dem Tagebuch von Ava von Reichenbach, Opfer des "Mengele" - Psychopathen)

Ein Ausflug in die Vergangenheit, der als Mutprobe beginnt, entwickelt sich für vier Jugendliche zu einem Albtraum, aus dem es kein Entkommen gibt.


 Leseprobe

1

„Ich hab euch doch gesagt, den Bunker gibt’s nicht mehr. Das ist alles reine Zeitverschwendung. Lasst uns zu Saras Party fahren. Die hat sturmfreie Bude und es gibt Bloody-Mary-Bowle zum Abwinken. Die Umdrehungen hauen euch um“, sagt Finn und greift Timo ins Lenkrad. „Jetzt mach schon. Dreh um! Bevor die anderen alles weggesoffen haben.“

„Lass das“, schimpft Timo und schiebt Finns Arm beiseite.

Das trübe Scheinwerferlicht eines entgegenkommenden Fahrzeugs taucht vor ihnen aus dem Nebel auf. Alle schreien, außer Miriam, die steif auf der Rückbank sitzt wie eine Porzellanpuppe. Die Bremsen kreischen auf der regennassen Straße, als Timo in die Eisen steigt und das Auto in letzter Sekunde wieder auf Spur bringt. Obwohl es für Ende Oktober mit fünfzehn Grad warm ist, verwandeln die vielen nassen Laubblätter die Fahrbahn in eine spiegelglatte Rutschpartie, die einer Eisfläche in nichts nachsteht.

„Hey. Bist du bescheuert? Lass das! Ich fahre hier!“ Mit einer gekonnten Armbewegung schiebt Timo Finns Hand beiseite. Seine durchtrainierten Oberarme spannen dabei den Stoff seines Sweatshirts.

Miriam atmet auf. Der Seufzer, der ihr dabei herausrutscht, treibt ihr eine heiße Röte ins sonst so blasse Gesicht. Sie schaut schnell zu Elenya, die neben ihr sitzt. Die starrt aber nur mit weit aufgerissenen Augen auf die Straße und in die Dunkelheit des Waldes dahinter, während sie sich an ihrem Sitz festkrallt. Puh. Sie hat nichts gehört, beruhigt sich Miriam und heftet ihren Blick wieder an Timos sexy Profil, was eine neue Hitzewelle durch ihren Körper jagt.

„Mach das nicht noch mal, Finn! Du Spinner hast sie echt nicht mehr alle. Das hätte fast nen Vollcrash gegeben“, schimpft Timo.

„Jetzt spiel dich mal nicht so auf. Ist doch nichts passiert. Deine Rostlaube fährt doch noch“, sagt Finn.

„Hey. Beleidige nicht meinen Polo. Der ist Kult! Wenigstens hab ich ein Auto. Du hast noch nicht mal nen Führerschein.“

„Ja, ja. Ist ja gut, du alter Angeber. Sowas Besonderes ist das jetzt auch nicht. Fährst doch selber erst seit nem Monat. Nächstes Jahr habe ich auch den Lappen“, sagt Finn.

„Ach ja? Wovon denn? Hat deine Mutter im Lotto gewonnen oder spendiert das neuerdings das Jobcenter? Wäre mir neu, dass sowas im Hartz mit drin ist.“

„Sei nicht so fies, Timo. Er kann doch da nichts für“, wirft Elenya von hinten ein, die inzwischen wieder aus ihrer Schockstarre erwacht ist.

„Ich brauch dafür weder meine Mutter noch das scheiß Jobcenter. Wer hat, der hat und ich hab halt so meine Quellen“, sagt Finn und trommelt im Takt des Songs „Highway to Hell“, der aus dem Radio plärrt, auf dem Armaturenbrett herum.

„Bäh, Finn. Seit wann stehst du denn auf solche ollen Kamellen“, schnaubt Timo. „Hey. Das ist echter Kult. Aber da hat einer, der nen rostigen VW-Polo für Kult hält, keine Ahnung von.“ Timo rollt mit den Augen.

„Meinst du mit Quellen etwa deinen kleinen Kiffer- und Saufschwarzmarkt? Strenggenommen ist die Kohle ja dann doch von deiner Mama. Von der klauste das Zeug doch. Hab ich Recht oder hab ich Recht“, stänkert Timo.

„Du Arsch. Bisher haben dich meine Quellen nen Scheiß interessiert. Hauptsache der Stoff war gut. Pass bloß auf, sonst kannste demnächst gucken, wo du deine Joints herkriegst.“

„Apropos. Du hast hoffentlich was Gutes mit“, wirft Timo ein.

Finn verzieht seine Mundwinkel zu einem schelmischen Grinsen und boxt Timo gegen den Oberarm. „Was denkst du denn, Alter? Jetzt dreh schon um und gib Gummi. Ich will auf Saras Party. Ich hab gehört, die trägt heute ihr heißes Cat-Woman-Kostüm vom letzten Halloween.“

„Nein. Wir suchen den Bunker. Dafür sind wir hier. Wenn wir da unten drin sind, gibt dein Stöffchen erst den richtigen Kick“, sagt Timo, zwinkert Finn zu und wischt mit seinem Ärmel über die beschlagene Windschutzscheibe.

„Bin auch für die Party, Leute! Den Bunker finden wir eh nicht. Der ist hier nicht. Und selbst wenn, ist der doch längst Geschichte. Soweit ich weiß, wurde der letztes Jahr nach dem Massaker zugeschüttet“, sagt Elenya.

Miriam schüttelt den Kopf. „Nein, wurde er nicht.“

„Ich fass‘ es nicht. Es kann sprechen“, witzelt Finn, dreht sich nach hinten und nickt Elenya zu. „Ich würde an deiner Stelle vor Langeweile eingehen, Ela. Wie hältst du das neben der nur die ganze Zeit aus?“

Ela lacht. „Na auf jeden Fall besser, als wenn ich neben so nem Nerd wie dir sitzen müsste. AC/DC? Dein Ernst, Finn? Die sind sowas von oldshool. Hab ich recht, Miri?“ Ela knufft Miriam in die Seite, die daraufhin zusammenzuckt und von ihr wegrutscht.

„Sorry, wollte dir nicht zu nahetreten“, sagt Ela und verzieht das Gesicht. „Wusste nicht, dass du so empfindlich bist.“

Finn lacht. „Oha. Die Miri ist also eine Miss-rühr-mich-nicht-an. Wer hätte das gedacht? Du solltest dich geschmeichelt fühlen, Miri. Ne Bessere als Ela kriegst du nicht ab.“ Finn zuckt mit den Schultern. „Tja, hättest mal lieber an mir rumgefummelt, Ela.“

Miriam glüht vor Scham. Sie zupft mit einer Hand an ihrem viel zu weiten Sweater und rutscht von einer Pobacke auf die andere.

„Finn, du Scherzkeks. Dich würd ich noch nich mal mit der Kneifzange anpacken. Dann werd ich lieber lesbisch, so wie Miri.“

„Jetzt lasst mal meine Süße in Ruhe.“, mischt sich Timo ein. „Miri ist doch nicht lesbisch. Die steht auf echte Kerle, so wie mich, gell Miri?“ Er zwinkert ihr im Rückspiegel zu und macht einen Kussmund.

Alle lachen, außer Miriam. Sie würde sich am liebsten in Luft auflösen und wünscht sich, sie hätte sich nie auf das alles hier eingelassen. Sie muss verrückt gewesen sein, als sie Timo zugestimmt hat. Ja, verrückt vor Liebe, denkt sie. Für Timo würde sie alles tun. Wie jedes Mädchen ihrer Schule. Wie blöd bin ich eigentlich, fragt sie sich.

 

2

Vor einer Woche erfüllte sich für Miriam ihr sehnsüchtigster Traum. Nie hätte sie gedacht, dass er jemals wahr werden könnte. Alles ist so surreal wie die Tatsache, dass sie jetzt zusammen mit Finn, Ela und Timo in einem Auto sitzt und mit ihnen einen ganzen Abend verbringen würde. Eventuell sogar die Nacht. Sie war noch nie mit Freunden unterwegs. Sie hatte noch nicht mal Freunde. Ob Timo, Ela und Finn welche sind, bezweifelt sie stark. Aber vielleicht könnten sie das werden. Wobei sie sich tief in ihrem Inneren von Timo deutlich mehr erhofft. Sie hat aufgehört, die einsamen Nächte voller Angst und Albträume zu zählen, in denen sie zitternd und schweißgebadet erwacht. Die Träumereien von Timo, in die sie dann immer flüchtet, retten sie und hüllen sie stets ein, wie in eine warme Decke. Sie stellt sich vor, wie er sie mit seinen starken Armen an seine Brust drückt. Ein tiefes Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit umfängt sie dabei jedes Mal, so dass sie ohne Angst einschlafen kann. Mit ihm würde ihr nie wieder etwas passieren. Timo würde sie beschützen. Aber die Realität sah bis zu dem besagten Tag vor einer Woche, der alles verändern sollte, anders aus. Sie war allein. Außenseiterin und Freak. Viel zu schüchtern, zu dünn und zu blass. Ein Nichts gegen all die wohlgeformten anderen Schönheiten an ihrer Schule. Sie ist mit ihren großen, stahlblauen Augen nicht hässlich, das weiß sie, aber neben Ela, die mit ihren vollen Kurven und südländischem Charme wirkt wie ein Filmstar, ist sie vollkommen unscheinbar, auch wenn ihre naturroten Locken noch so schön leuchten. Außerdem ist Timo ganze zwei Jahre älter als Miriam und schon volljährig. Was soll er von einem Küken wie mir, die flach ist wie ein Bügelbrett, schon wollen? Er geht bereits in die Oberstufe, wo ganz andere Kaliber von Mädchen ihn tagtäglich umgarnen. Nein. Timo wird mich niemals bemerken, dachte Miriam vor einer Woche noch.

 

Es war ein Schultag, wie jeder andere …

 

 Ende der Leseprobe