Krimis

Fit in Social Media - Cyber Crime

von Rudolf Georg

Cover-Entwurf: R. Georg,

Foto: Satya Tiwari auf Pixabay

Mens sana in corpore sano.

Gesunder Geist in gesundem Körper. So formulierten bereits die alten Römer. So denken heute rund 9,8 Millionen Mitglieder von ca. 9.500 Fitness-Studios bundesweit. Nicht alles, was dort geschieht, dient allerdings der körperlichen Ertüchtigung. Eine gewisse Fitness auch in anderen Bereichen erweist sich deshalb mitunter als sehr hilfreich. Die Kombination aus einer solchen Mitgliedschaft und dem geschickten Umgang mit Social Media kann sich – genügend kriminelle Energie vorausgesetzt – zu einem Cyber Crime entwickeln, bei dem es um viel Geld geht, sehr viel Geld …

 


Leseprobe

 

Fit in Social Media

 

Phase 0

»Hey, Süße, du musst mir helfen. Ich hab nämlich meine Telefonnummer verloren, kannst du mir deine geben?«

Echt jetzt? Erwartete der Typ allen Ernstes eine Antwort von ihr? Blond gelockt und braungebrannt stand er vor ihr auf der anderen Seite des Tresens. Das weiße T-Shirt brachte seinen Bizeps wirkungsvoll zur Geltung; seine Bewegungen ließen erkennen, dass er durchtrainiert war. Hinter ihm standen feixend seine beiden Kumpel, mit denen er sich hier regelmäßig zum Eisen pumpen und dem anschließenden Saunabesuch traf. Danach zogen die drei, wie sie wusste, noch in ihre nahe gelegene Stammkneipe. Worüber sie dort sprachen, wollte sie gar nicht wissen; ihr genügten die Gesprächsfetzen, die sie hier im Fitness-Studio mitbekam – mehr brauchte sie gar nicht zu wissen.

Innerlich stöhnte Steffi auf, schon wieder so eine plumpe Anmache. Nach außen hin durfte sie sich jedoch nichts anmerken lassen und so schenkte sie dem blonden Schönling, der sich offenbar für unwiderstehlich hielt, ihr schönstes Lächeln. »Ich kann dir die Nummer von der Telefonseelsorge geben, wenn dir das hilft. Und wenn ihr jetzt eure Chips hier auf das Transponder-Feld legt, dann lass ich euch sogar ins Studio rein. Ihr müsst euch ranhalten, ihr seid heute spät dran.«

Kaum hatten die drei sich in der beschriebenen Weise für das heutige Training registriert und bewegten sich nun Richtung Umkleiden, landete die flache Hand des kurzgeschorenen Dunkelhaarigen krachend auf der Schulter des Blondschopfs. »Da musste dir wohl was Besseres einfallen lassen, wenn du bei der landen willst.«

Auch der Dritte im Bunde konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen: »Die hat dich ganz schön gedisst.«

  

Steffi hasste es, ständig von diesen Kerlen angebaggert zu werden. Vormittags ging es ruhig und gemächlich zu, da besuchten vornehmlich Rentner das Fitnessstudio. Sie waren freundlich und höflich. Manche versuchten zwar auch, mit ihr oder einer der anderen Mitarbeiterinnen zu flirten, aber das war harmlos. Deren Sprüche waren so gesittet, dass man sie sich beim Elternabend im Kindergarten hätte erzählen können, ohne Anstoß zu erregen. Am späten Vormittag und frühen Nachmittag kamen die Hausfrauen, die etwas für ihre Figur tun, sich vor allem aber mit ihren Bekannten treffen wollten. Etwas später am Nachmittag erschienen die Teenager, die es sich selbst und ihren Kumpels beweisen wollten. Deren pubertäres Gehabe erwies sich zwar auch so manches Mal als grenzwertig, jedoch waren sämtliche Versuche, die Grenze zu überschreiten, leicht abzuwehren. Richtig lästig waren die Typen zwischen Mitte 20 und Mitte 30, die ihren vermeintlichen Astralkörpern noch den letzten Schliff geben wollten und glaubten, mit schierer Muskelmasse beeindrucken zu können. Sie fanden sich abends ein. Und zwar zur gleichen Zeit wie die jungen Frauen, die offenbar genau das suchten. Bei ihnen mochten Verhalten und Sprüche der Machos verfangen, nicht aber bei Steffi. Obwohl sie es genau auf solche Typen abgesehen hatte. In jedem Bizeps fünftausend Volt, aber oben nur wenig Licht.

 

Sie checkte noch einmal die Daten der Mitgliederverwaltung, schließlich interessierte es sie, ob es neue Anmeldungen gab und ob die Daten jeweils vollständig waren. Name, Vorname, Anschrift, Bankverbindung, Handy-Nummer und Beruf. Wenn einer Fragen stellte, weshalb der Beruf interessierte, verwies sie darauf, dass Schüler und Studenten einen Nachlass erhielten. Aber solche Rückfragen waren selten. Ein Thomas hatte sich am Vortag neu angemeldet, als sie frei hatte; schnell kopierte sie seine Angaben, denn er passte in ihr Beuteschema.

Dann wurde es Zeit, die Runde zu machen. Also verließ sie den Empfangstresen und ging durchs Studio. Sie sah nach den Geräten, versetzte sie in die jeweilige Ausgangsstellung, was die Nutzer nur allzu oft versäumten, desinfizierte vorsorglich noch mal die Kontaktflächen und hoffte inständig, von allzu aufdringlichen Annäherungsversuchen verschont zu bleiben. Dennoch musste sie natürlich darauf achten, dass die Geräte vorschriftsmäßig bedient wurden und diejenigen, die mit ihnen trainierten, die gewünschten Erfolge erzielen konnten, ohne sich zu verletzen. Dafür war sie eingestellt worden.

 

Die üblichen Verdächtigen bevölkerten das Studio. Die Blondine mit Pferdeschwanz und künstlichen Wimpern trug wieder ihr Sportdress in pink und weiß zur Schau, das so eng anlag, als sei es aufgemalt. Mit etwas Bewegung hatte sie einige Schweißperlen auf ihre Stirn gezaubert, so dass sie nun ihrer Lieblingsbeschäftigung frönen und Selfies an allen möglichen Geräten schießen konnte, um sie anschließend auf Instagram zu posten. Diese Leidenschaft teilte sie mit einigen der anderen Sportlerinnen, aber keine vermochte sich so in Szene zu setzen wie sie. Dem Grinsen und den Sprüchen nach zu urteilen, gefiel es zumindest den jungen Männern. Figürlich konnte Steffi mit ihr nicht mithalten. Sie war nicht groß, sondern eher klein, nicht wirklich schlank, wenn auch nicht dick. Sie stufte sich eher als Durchschnitt ein, ein unauffälliges Erscheinungsbild, das an ihren früheren Arbeitsstellen dazu beitragen hatte, dass sie regelmäßig übersehen wurde. Hier war das anders, hier schienen die Kerle wirklich jede Frau anzumachen. Aber das war ihr bewusst gewesen, bevor sie hier angefangen hatte. Sie hatte sich das »Charlie’s«, ein Fitnessstudio mit den vier Niederlassungen, erst nach gründlicher Recherche und sorgfältiger Überlegung ausgesucht. Niedrige Monatsbeiträge und deshalb genau das richtige Publikum.

 

Der Blondschopf von eben und seine beiden Kumpels hatten sich auf den Crosstrainern aufgewärmt. Nun versuchte er sich unter der Aufsicht der beiden anderen an der Langhantel. So wie er das Gerät handhabte, musste es voll ins Kreuz gehen; das tat schon beim Zuschauen weh. Er verzog das Gesicht, was sicherlich nicht nur an dem zu hohen Gewicht, sondern auch an der falschen Technik lag. Steffi überwand sich und wollte ihm Tipps zur Haltung geben; sie war sogar bereit, es ihm vorzuführen, wenn auch mit weniger Gewicht. Der Dunkelhaarige bremste sie jedoch aus. »Lass mal gut sein, Mädchen, ich erklär ihm das schon. Ich kann das.«

Klar, er konnte das. Was war er noch einmal von Beruf? Irgendetwas Handwerkliches, genau wusste es Steffi nicht mehr, sie war sich jedoch sicher, dass er von Berufs wegen keine anatomischen oder medizinischen Vorkenntnisse hatte. Sie war immerhin gelernte MFA; ihre Ausbildung als medizinische Fachangestellte hatte sie in einer Gemeinschaftspraxis mehrerer Orthopäden absolviert. Deshalb hatte sie hier problemlos unterkommen können, ihre medizinischen Kenntnisse als Sprechstundenhilfe hatten ihr die Türen geöffnet. Ihre Ausbildung bei der Bank hatte hingegen keinen interessiert.

 

Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, dachte sich Steffi. Trotzdem sah sie den Blonden noch einmal fragend an, doch der nickte nur, weshalb sie ihre Runde fortsetzte. So war es meistens. Diese Typen kamen selten einzeln, sondern meistens zu zweit oder zu dritt, weil sie es nicht nur sich selbst, sondern auch ihrer Gruppe beweisen wollten. Sie ließen sich so gut wie nie etwas erklären, verfolgten kein stringentes Trainingskonzept, schon gar keins, das individuell auf sie zugeschnitten war, sondern arbeiteten so mit den Geräten, wie sie es sich zusammengegoogelt oder in Fitnesszeitschriften gelesen hatten. Abgesehen davon, dass es in dieser Studiokette keine Personaltrainer gab, hätte von denen keiner Geld in die individuelle Anleitung und Betreuung investiert. Wichtiger war den meisten das Proteinpulver, das natürlich auch im Studio verkauft wurde. Außerdem wurde gemunkelt, unter der Hand würde auch Steroide gehandelt; Genaueres wusste sie nicht, sonst wäre sie dagegen vorgegangen, damit am Ende nicht noch einer dieser Hehler illegaler Aufbaupräparate sie bei ihren eigenen Geschäften behinderte. Ein Besuch der Polizei, die das gesamte Studio auf den Kopf stellte, war das Letzte, was sie brauchen konnte.

Eigentlich hätte es ihr recht sein können, dass die Jungs unter sich bleiben wollten, denn mit ihnen hatte Steffi recht wenige Probleme. Schwieriger war der Umgang mit denen, die – meist mit kurz geschorenen Haaren und Dreitagebart sowie großflächigen Tattoos – zu lauter Rap-Musik trainierten. Ihnen selbst mochten die wummernden Beats Antrieb genug sein, andere Mitglieder hingegen störten sich daran. So hatte Steffi erst in der vergangenen Woche mit Müh’ und Not eine Schlägerei zwischen einer dieser Möchtegern-Rapper-Gruppen und anderen Muskelpaketen verhindert. Natürlich nicht allein, ihre beiden Kolleginnen waren ihr zu Hilfe geeilt. Nachher gestanden alle drei sich ein, dass ihnen ziemlich mulmig zumute gewesen war.

 

Tapfer ertrug Steffi die Mischung aus Testosteron und Schweiß. Gern hätte sie so manches Mal die Fenster geöffnet, wenn das nur möglich gewesen wäre. Die Klimaanlage wurde häufig nicht mit der Ansammlung der unterschiedlichsten Gerüche fertig. Schon gar nicht mit den Parfümschwaden, mit denen sich die jungen Frauen umgaben, die im sexy Outfit für ihre Selfies posierten und die Muskelpakete anhimmelten. So manchem Clubmitglied hätte Steffi gerne geraten, sich doch als erstes zu duschen, doch sie fürchtete, dann aufgrund von Beschwerden entlassen zu werden. Das durfte nicht passieren, nicht jetzt, solange sie ihr Vorhaben noch nicht abgeschlossen hatte. Natürlich hatte sie Vorurteile gehabt. Klischees waren vor ihrem geistigen Auge vorbeigezogen, weshalb sie besondere Sorgfalt auf ihre Recherchen verwandt hatte. Zum einem großen Teil hatten sie ihre Vorstellungen bestätigt gefunden, nachdem sie sich »Charlie’s Club« ausgesucht hatte. Das Fitnessstudio mit vier Niederlassungen in der Stadt, allesamt in alten Fabrikhallen beheimatet, in denen noch der Geruch von Maschinenöl zu hängen schien. Die meist unverputzten Ziegelsteinwände strahlten den Charme alter Boxhallen aus, wie man sie aus einschlägigen Schwarzweißfilmen der fünfziger und sechziger Jahre kannte. In Verbindung mit dem Metall der Trainingsgeräte boten diese Clubs einen martialischen Anblick, wenngleich alles technisch auf dem neuesten Stand war, vor allem auch die Mitgliederverwaltung, auf die sie Zugriff haben wollte. Eine Zeit lang hatte Steffi als Springer gearbeitet, hatte reihum in den vier Studios immer wieder ausgeholfen und so die Mitglieder ausgekundschaftet, die ihr für ihr Vorhaben geeignet erschienen. Nachdem sie einmal mit der EDV vertraut war, war es für sie ein leichtes, die persönlichen Daten der Mitglieder auszulesen. Name, Vorname, Anschrift und Telefonnummer; praktischerweise gaben die weitaus meisten heutzutage ihre Mobilfunknummer an. So konnte sie leicht feststellen, wer sich in den sozialen Medien, insbesondere auf WhatsApp, tummelte. Außerdem waren bei den meisten die ausgeübten Berufe vermerkt. Eigentlich waren sie für die Mitgliedschaft als solche irrelevant, nur Schüler, Studenten und Auszubildende erhielten einen Nachlass auf den ohnehin günstigen Beitrag. Aber die meisten legten bereitwillig offen, womit sie ihr Geld verdienten. Ebenso wie sie bedenkenlos ihre persönlichen Daten bei allen möglichen Gelegenheiten in den sogenannten Sozialen Medien preisgaben. Steffi war dankbar dafür und vermerkte alles in ihren persönlichen Aufzeichnungen.

 

Wenig später kam ein Mann auf sie zu, den sie auf Ende dreißig schätzte. Kurze braune Locken, die schon mit grauen Fäden durchzogen waren, offenes Gesicht, freundliches Lächeln. Mit der Lederjacke, die sichtbar Patina angesetzt hatte, seinem weißen T-Shirt und der Jeans erinnerte er Steffi an James Dean in Denn sie wissen nicht, was sie tun – sie liebte alte Filme. Nur, wie er sich bewegte, passte nicht zur der Rolle, nämlich wie ein Cowboy, dem man das Pferd unter dem Hintern weggeschossen hatte.

»Hallo, ich bin Thomas!«

»Ach so, der Neue. Ich heiße Steffi.«

»Ich weiß …«

»Woher?«

            »Steht auf deinem Namensschild!« ...

 

Ende der Leseprobe